Die drei „S“

Wenn sich ein Hund in der Menschenwelt bewegt, sollte der Mensch nicht nur immer aufmerksam, geduldig und entspannt bei ihm sein, sondern in der Führung seines Hundes auch versuchen, allen hündischen und damit stellungsbedingten Anforderungen gerecht zu werden.

Dabei geht es nicht so sehr um die Frage, wie der Mensch ihn anspricht, wie er ihn in Entscheidungsprozesse einbindet (diese Frage lässt sich nur individuell beantworten, weil hier entscheidend ist, ob es sich um einen Leithund, einen MBH oder um einen Bindehund handelt, da alle drei „Grundtypen“ etwas anders angesprochen werden müssen). Dies ist bereits der nächste Schritt.

Es geht in diesem Abschnitt erst einmal nur um die grundsätzliche Haltung des Menschen seinem Hund gegenüber – unabhängig von dessen Stellung. Dieser erste Themenblock beschäftigt sich mit dem „Binnenverhältnis“, das der Mensch mit seinem Hund in der Gemeinschaft eingeht.

Die drei Stichworte sind „Sicherung“, „Stellung“ und „Spur“.

Sicherung

Einer der wichtigsten Unterschiede zur herkömmlichen Hundehaltung ist, dass die Tabuzone eines Hundes für uns eine wesentlichen Rolle spielt. Es zeigt zwar jede Stellung eine Tabuzone, diese variiert hinsichtlich ihrer Größe jedoch von Stellung zu Stellung.

Es handelt sich dabei um den Bereich um jeden Hund, in dem sich kein anderes Lebewesen ohne die „Zustimmung“ des Hundes aufhalten darf, sie ist für das Selbstbewusstsein und das Selbstverständnis des Hundes elementar (ganz ähnlich ist es ja auch bei uns Menschen, auch wir dulden fremde Menschen in unserem direkten Umkreis nicht ohne weiteres, denken wir nur an das Gedränge in einer U-Bahn, in diesen Situationen wird die Unterdrückung elementarer Affekte wie Rückzug oder Abwehr von uns selbst eingefordert).

Sobald diese Tabuzone tangiert wird, folgt in jedem Fall eine Reaktion des Hundes, diese kann von Neugier bis Ausweichen reichen, im Extremfall aber auch eine Korrektur (für das unerlaubte Eindringen) beinhalten.
Für den Menschen ist es nun unabdingbar, diese (unterschiedlich große) Tabuzone seines Hundes nicht nur zu kennen (um gegebenenfalls rechtzeitig reagieren oder ausweichen zu können), sondern auch für die Unverletzlichkeit derselben zu sorgen. Das heißt jetzt sicher nicht, sich jedem Menschen oder jedem Hund entgegenzuwerfen und diesen lauthals zu vertreiben, aber eben doch, darauf zu achten, dass niemand dem Hund zu nahekommt, ihn womöglich bedrängt oder ungefragt einfach nur anfasst (auch nicht mit der Begründung „Och, ist der aber süß!“).
Hier registriert der Hund sehr schnell, wie gut der Mensch als Sicherung taugt, und bewertet es entsprechend (zum Beispiel mit seiner Kooperationsbereitschaft in anderen Situationen).

Wenn dies schon für den erwachsenen Hund gilt, muss umso mehr bei einem Welpen darauf geachtet werden.
In den so genannten Welpenschulen wird jedoch genau dies (mit Absicht) verhindert und unterbrochen, denn je eigenständiger und selbstbewusster ein Hund ist (und seine Tabuzone nicht nur kennt, sondern sie auch einfordert), umso weniger „umweltkompatibel“ wird er sein, wenn seine ureigensten Bedingungen immer wieder missachtet werden. Hunde, denen diese Tabuzone „aberzogen“ wurde, können sich aber kaum mehr stellungsgerecht verhalten, weil ihnen die „natürlichen“ Reaktionen verboten wurden. So ist zum Beispiel das Anspringen eines Menschen ein typisches Korrekturverhalten für das unerlaubte Eindringen in die Tabuzone eines (Leit-)Hundes, identisch zum Schnauzelecken und Schwanzwedeln eines (Binde-)Hundes, der dem Eindringling in seine Tabuzone damit seine Ungefährlichkeit und Unterwürfigkeit signalisiert.

Aus unserer Sicht ist beides möglich: Mit einem selbstbewussten Hund durchs Leben zu kommen, der trotzdem unauffällig bleibt, weil wir seine Bedürfnisse kennen und auf seine Erwartungen eingehen.

Stellung

Unter diesem Stichpunkt ist vor allem die stellungsgerechte Behandlung des Hundes zu verstehen. Einerseits geht es dabei um das Verständnis für unseren Hund, der aus seiner Stellung heraus agiert, und andererseits um die daraus abgeleitete stellungsgerechte Kommunikation mit ihm. Dies allein ist schon eine große Aufgabe, da viele althergebrachte Verhaltensweisen des Menschen wenn nicht gleich auf den Kopf gestellt, so doch grundlegend überdacht und oftmals geändert werden müssen.

Ein Grundverständnis der hündischen Verhaltensweisen auf der Grundlage der Rudelstellungen kann man sich über die öffentlich zugänglichen Bereiche unserer Webseite oder über das Buch „Der Verständigungsschlüssel zum Hund“ von Barbara Ertel aneignen und soll hier nicht weiter vermittelt werden.

Nach der Einschätzung des Hundes und dem Durcharbeiten dieser Quellen werden viele Hundehalter ihren Hund oftmals genauer beobachten, auch mit anderen Augen betrachten. Im Vergleich mit den zwangsläufig noch abstrakten Beschreibungen der Stellungen werden sich viele Übereinstimmungen finden, vieles an bisher unverständlichem Verhalten wird klarer. Dennoch werden sich auch Abweichungen zeigen – verständlich, denn viele Hunde haben ein mehr oder weniger langes Vorleben ohne Strukturerfahrungen.
Mit dem neuen Blick ändert sich auch die Kommunikation zwischen Mensch und Hund, denn je mehr der Hundehalter von der Theorie versteht, je genauer er seinen Hund beobachtet und je mehr er beides zur Deckung bringen kann, umso angepasster an dessen Stellung, aber auch dessen Persönlichkeit kann er sich verhalten.

Hinter all dem steht die Vorstellung, dass auch der Mensch – als Teil der Mensch-Hund-Gemeinschaft – bestimmte Aufgaben in dieser Gemeinschaft übernehmen, er sozusagen „mitarbeiten“ muss.
Sie umfassen einerseits die Arbeit als „Dolmetscher“ – der Mensch muss seinem Hund nicht nur die Menschenwelt übersetzen, sondern ihn auch sicher durch diese führen (vgl. link: „Hund und Umwelt“, Abschnitt „Leitung“) – und andererseits die Arbeit als eine Art „Aushilfskraft“.

Solange eine Gemeinschaft nicht aus 7 Hunden besteht, können Aufgaben, für die eine der 7 Stellungen zuständig ist, nicht hinreichend übernommen werden. Die vorhandenen Hunde sind gezwungen, diese Aufgaben mehr oder weniger mit zu übernehmen, die fehlenden Stellungen also zu kompensieren.
Auch wenn der Mensch sich keineswegs wie ein Hund verhalten kann, so kann er doch „mitarbeiten“, also aushilfsweise bestimmte Aufgaben im Ansatz übernehmen, die sonst einem oder mehreren Hund(en) zufallen würden.

Bei einem Einzelhund zum Beispiel würde der Mensch die Sicherungsaufgaben gegenüber dem Leithund (VLH oder NLH) übernehmen, die sonst dem entsprechenden Bindehund (V 2 oder N 3) zufallen würden oder die Führ- und Bewertungsaufgaben für einen Bindehund, die sonst der Leithund vornehmen würde.
Bei einem Vorrang-Team (VLH und V 2) würde der Mensch den V 2 in bestimmten Situationen (wie ein MBH) „übernehmen“ oder den Vorrang (wie ein NLH) über Geschehnisse hinter der Gruppe unterrichten (also zum Beispiel herannahende Fremdhunde, schneller gehende Menschen ankündigen) oder einfach nur für ein angemessenes Tempo sorgen, sodass alle im Gleichklang unterwegs sind.

Diese „Aushilfsarbeit“ umfasst aber noch einen weiteren Aspekt: Der Mensch sollte auch darauf achten, dass einzelne Hunde in einem Team oder Teilrudel nicht in der Stellung „kippen“.
Mit diesem Begriff ist in der Regel eine Selbstüberhöhung gemeint. Sie führt vor allem bei einem 2er – und auch bei einem MBH, wenn der Leithund fehlt – zu einer Übernahme des Eckhund-Verhaltens, ohne aber wirklich dessen stellungsspezifische Arbeit (Ortungs- und Bewertungsfähigkeiten bzw. Ordnung der inneren Rudelstruktur) leisten zu können. Bei einem 3er kommt es durch diese Selbstüberhöhung zu einem übermäßigen und undifferenzierten Warn- und Beschützerverhalten.
Aber auch bei einem Leithund kann sich – ohne „Gegengewicht“ innerhalb des Rudels – sein Selbstbewusstsein zu einer Art „Größenwahn“ entwickeln, der in der Folge nicht nur seinen Menschen, sondern auch seine Umwelt „beherrschen“ und nach seiner Pfeife tanzen lassen wird.
Da kann es schnell passieren, dass der Mensch – aus welchen Gründen auch immer – zum „Erfüllungsgehilfen“ seiner Hunde wird. Der Mensch bleibt jedoch ein Mensch, auch als (sich integrierender) Teil der Gemeinschaft, der sich nicht vereinnahmen lassen darf, sich auch abgrenzen muss, will er von den Hunden ernst genommen werden.

Wichtig bei dieser „Mitarbeit“ ist auch die Übernahme einer Bewertung der Aktionen des Rudels, also zum Beispiel die Beantwortung der Frage, ob die menschlichen Rahmenbedingungen ausreichend beachtet werden, die jeweiligen Aktionen mit den spezifischen Vorgaben zum jeweiligen Lauf übereinstimmen etc. Aber auch interne Bewertungen – sofern sie dem Menschen auffallen – sollten nicht ausbleiben: Sieht also die Führarbeit des Leithundes korrekt aus? Stimmen die Absprachen zwischen den Hunden oder werden Egoismen ausgelebt? Zeigen die Hunde ihre stellungsgerechte Arbeit oder werden Bewertungen und Handlungen übernommen bzw. unkommentiert überlassen, die der jeweiligen Stellung nicht zustehen?

Dies ist am Ende eine hohe Kunst und hat selbstverständlich Grenzen, denn kein Mensch kann Stellungsarbeit wirklich leisten. Dennoch wird der Mensch auf diese Weise seine Hunde in der Stellung und damit zu einem guten Teil auch „weich“ und kompromissbereit halten können.

Spur

Wenn die beiden vorhergehenden Abschnitte sich mit den „Bedingungen“ des Hundes an den Menschen beschäftigt haben, gibt es auch Anforderungen, die der Mensch an seinen Hund stellen muss, um ihn sprichwörtlich „in der Spur“ zu halten.

Dazu gehören neben klaren Aussagen bezüglich der Regeln zuhause oder der Regeln in der Menschenwelt auch die Regeln, die situativ unter ständig wechselnden Bedingungen im alltäglichen Umgang aufgestellt werden müssen.
Das typische Beispiel dafür sind die täglichen Spaziergänge, bei denen bestimmte Vorgaben sowohl vor dem Start (über Laufroute oder Zeitfenster) als auch fortlaufend während des Spaziergangs erfolgen (dies gilt insbesondere bei der Führung eines MBH).

Man kann dies mit dem Begriff „Zielpunkt-Wandern“ etwas griffiger umschreiben: Der Mensch gibt vor dem Start seine Erwartungen, seine Vorstellungen und sonstige Umstände bekannt, die für den Lauf berücksichtigt werden müssen. Dies können sowohl allgemeinere Vorgaben sein, zum Beispiel, dass die Hunde von Menschen Abstand halten sollen, dass Beete nicht betreten und Vögel nicht gejagt werden dürfen! Sie können aber auch durchaus spezieller sein: dass bestimmte Wegabschnitte – zum Beispiel wegen Bauarbeiten – zu meiden sind oder dass Fremdhunde wegen einer Läufigkeit strikt gemieden werden sollen.

Während die Wegvorgaben vor allem für den VLH wichtig sind, da er für das Rudel den Weg bestimmt, gelten die Zeitvorgaben eher für den NLH, da er innerhalb der Gemeinschaft für das Tempo verantwortlich ist.

Etwas anders müssen die Vorgaben für einen MBH erfolgen, der selbst keine Kompetenzen für die Bewertung der Umwelt besitzt. In diesen Fällen muss der Mensch deutliche Grenzen nach vorne und hinten setzen. Der Weg, der zu gehen ist, wird auch deutlich strenger bzw. die Freiheiten deutlich enger gesetzt. Er wird vom Menschen immer nur in Etappen im Voraus festgelegt: „Bis zur Parkbank“, bei der Parkbank angekommen: „Vorn sind zu viele Menschen, wir weichen aus und gehen zur großen Eiche links vor uns!“, bei der Eiche angekommen: „Bis zu den ersten Autos am Weg!“ etc.
Dies mag sich beim ersten Lesen absurd anhören, aber wenn man einen VLH in der Kommunikation mit einem MBH (über Blicke) beobachtet, sehen die Absprachen nicht wesentlich anders aus: Mit einem klaren Bild im Kopf, einer entsprechenden Körperhaltung und Blickvorgaben – und natürlich etwas Übung – ist das auch für einen Menschen durchaus umsetzbar!

Auf dem Weg selbst kann der Mensch die einzelnen Vorgaben (Laufstrecke und Zeitfenster) immer wieder mal ins Gedächtnis rufen, damit die Hunde den vorgegebenen Rahmen nicht ignorieren. Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass man sich nun sklavisch an eine einmal gefasste Vorgabe halten müsste, es können ja sowohl eigene Bedürfnisse hinzu kommen (schönes Wetter) als auch hündische, sodass gewisse Abweichungen von den Vorgaben durchaus möglich sind (aber immer mit Begründung kommuniziert werden sollten, also zum Beispiel: „Ja gut, den Umweg können wir gerne gehen, das Wetter ist einfach zu schön … die Zeit haben wir noch!“).

Dies hört sich jetzt vielleicht strenger an, als es tatsächlich abläuft – und jeder Mensch hat ja andere Vorstellungen –, aber es soll auch nur verdeutlichen, dass jeder innerhalb der Gemeinschaft wichtig ist, jeder ein Mitspracherecht hat, jeder auf den anderen achtet und mit ihm in ständiger Kommunikation steht, aber auch jeder den anderen an seine Aufgaben, an seine Pflichten erinnert – denn dies ist letztlich die Grundlage für Gemeinschaft.