Die ersten Schritte …

Wenn man sich als Halter seine(n) Hund(e) einschätzen lässt, kann dies immer nur der erste Schritt sein … dem viele weitere folgen!! Denn es ist nicht damit getan, einige Grundregeln zu beherzigen und dann ändert sich alles … leider! Die Stellung seines Hundes ernst zu nehmen, als wesentlichen Bezugspunkt seiner Kommunikation und seines Wesens anzuerkennen, ist erst der Anfang.
Der mit der Einschätzung mögliche Neustart kann zwar zu einer gänzlich anderen Beziehung zum eigenen Hund führen, bedeutet aber auch tagtägliche Arbeit: Alte Beziehungs- und Verhaltensmuster ändert niemand von einem Tag auf den anderen! Sowohl für den Menschen bedeutet es eine deutliche Umstellung, bis ihm die wichtigsten Regeln in Fleisch und Blut übergegangen sind, als auch für den Hund, der nun ganz anders gefordert ist.
Diese Umstellung braucht einerseits eine Vorstellung, welches Verhalten sich aus dem Wissen über die Rudelstellung ergibt, andererseits aber auch viel Zeit und Geduld – auf beiden Seiten!

Dabei sind es im Wesentlichen drei Themenkreise – „Hund und Mensch“, „Hund und Umwelt“ sowie „Hund und Hund“ –, die unsere andere Sicht auf das Wesen Hund verdeutlichen sollen.

Es sei an dieser Stelle aber deutlich klargestellt, dass die folgenden Abschnitte KEINESFALLS eine „Bedienungsanleitung nach Rudelstellungen“ sein können; dies ist von unserem Ansatz her auch gar nicht möglich.
Es gibt zwar einige Grundregeln und auch einige Besonderheiten, die man im Umgang mit jeder einzelnen Stellung berücksichtigen sollte, aber das kann nie heißen, dass nun alle Hunde derselben Stellung standardisiert „abgehandelt“ werden können.
Das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir um die Stellung unseres Hundes wissen, leiten sich zwar bestimmte Grundregeln ab, aber dennoch haben wir durchaus ein individuelles Wesen vor uns, mit dem wir in Kommunikation treten, oft mit einer persönlichen Vorgeschichte, mit individuellen Prägungen und Vorlieben. Selbst rassebedingte Eigenschaften können eine gewisse Rolle spielen (zum Beispiel Reizreaktionen auf Beutetiere, für die eine Rasse speziell gezüchtet wurde, das Hüteverhalten bestimmter Rassen).

Auch jeder Mensch ist anders, hat ein eigenes Energielevel, reagiert unterschiedlich offen auf seine Umgebung, hat vielleicht Sorgen oder gar Ängste, pflegt eine bestimmte Form der Kommunikation und besondere Verhaltensweisen, auf die sich umgekehrt der Hund einstellen muss. So ist jedes Team, jede Gemeinschaft anders, individuell geprägt durch die unterschiedlichen Eigenarten – insbesondere, wenn es sich um mehrere Hunde handelt.

Es kann sich bei den nachfolgenden Abschnitten also nur um eine erste grobe Übersicht handeln, die zudem für alle Stellungen mehr oder weniger gilt. Sie ist dazu gedacht, denjenigen Menschen, die ihren Hund gerade haben einschätzen lassen, eine erste Vorstellung von der ganz praktischen Umsetzung des Wissens über die vererbten Rudelstellungen zu vermitteln.

Diese Umsetzung – das kann nicht oft genug wiederholt werden – ist aber nicht mit dem Lesen der folgenden Kapitel abgeschlossen, es ist (und bleibt!) ein fortwährender Verständigungsprozess, der sich über Wochen, Monate, im Grunde über Jahre im Zusammenleben mit einem Hund vollzieht … und nicht jeder Mensch hat die Zeit, das Verständnis oder die Geduld dafür.

Denn das ist sicher der wichtigste Unterschied zur herkömmlichen Hundehaltung: Wir versuchen jeden Hund als eigenständiges Wesen mit einem eigenen Willen und eigenen Entscheidungen zu begreifen und ihm auf Augenhöhe zu begegnen.
Wir wollen einen in sich ruhenden, selbstbewussten Hund, der sich sicher und entspannt in seiner Umwelt bewegt – wie alle Hundehalter. Jedoch wollen wir dies zu den Bedingungen des Hundes, wir wollen ihn so verstehen, wie er ist, damit wir weder sein Wesen unterdrücken, sein Wollen brechen noch seine Ängste ignorieren müssen, nur um dieses Ziel zu erreichen.

… Geduld, Verständnis, Entschleunigung ...

Der erste Schritt ist also schon getan, wenn wir unseren Hund als eigenständiges Wesen begreifen, ihn und sein Wollen, seine Bedürfnisse ernst nehmen. Und dazu gehört, ihm auch Reaktionen und ein Verhalten zuzubilligen, das unseren Erwartungen vielleicht erst einmal nicht entspricht.
Wir signalisieren ihm, dass wir die Geduld aufbringen wollen, ihm zuzuhören, zu verstehen, was ihn zu dieser Reaktion oder jenem Verhalten antreibt. Das ist selbstverständlich nicht bedingungslos – jeder hat Regeln einzuhalten –, aber das Verhalten des Hundes begreifen zu wollen, sein eigenes, menschliches Handeln (als mögliche Ursache) damit in Verbindung zu bringen und die Zusammenhänge erschließen zu wollen, ist der Beginn für mehr Verständnis … auf beiden Seiten.

Ganz wesentlich dafür ist sowohl eine entspannte, aber gleichzeitig konzentrierte, sichere Haltung dem Hund gegenüber als auch eine ruhige, aber innerlich klare und deutliche Kommunikation.
Für den Menschen bedeutet das eine weitreichende Arbeit an sich selbst: Er muss darüber reflektieren, inwieweit seine Kommunikation mit dem Hund geprägt ist von Stress, Aufregung, Hektik … er muss erkennen, welche Emotionen ihn zu unklaren Aussagen, zu widersprüchlichem Verhalten oder gar zu überstürzten Entscheidungen treiben. Denn all diese Dinge verwirren einen Hund, zwingen ihn zu schnellen Reaktionen, im schlimmsten Fall zu eigenen Entscheidungen.

Eine ganz wesentliche Übung für die meisten Hunde – und auch Halter! – ist die Entschleunigung. Als ein extremes Negativbeispiel seien Hunde am Fahrrad genannt: Sie haben keinerlei Möglichkeit, sich mit ihrer Umgebung auf adäquate Weise zu beschäftigen, also zum Beispiel Gerüchen nachzugehen, eigene Markierungen zu setzen und damit hundgerecht zu kommunizieren, andere Lebewesen in Ruhe zu beobachten oder sich Dinge aus der Menschenwelt, die sie nicht kennen/verstehen, erklären zu lassen.

Für viele Hunde bedeutet es deshalb einen großen Schritt zu innerer Stabilität, wenn sie sich all diesen Dingen in ihrem ureigenen Tempo widmen können. Jedoch sind viele von ihnen schon derart beschleunigt, dass sie kaum mehr selbst in die Ruhe zurückfinden. Umso wichtiger ist hier die Hilfe des Menschen, der sich ein völlig neues Tempo angewöhnen muss, um so seinen Hund ein wenig in die Ruhe zu „zwingen“.
Ruhige, sehr langsame Spaziergänge in naturnaher Umgebung mit wenigen menschengemachten Außenreizen, mit vielen Möglichkeiten zum Stehen und Beobachten und weitem Abstand zu anderen Menschen oder Hunden sind ideal für solche Übungen. Auf jeder Strecke finden sich ausreichend Naturreize (Blumen, Löcher/Höhlen, andere Tiere, Wasserläufe etc.), mit denen man sich lange und ausgiebig gemeinsam beschäftigen kann.
Hunde stellen sich auf diese Weise wieder konzentrierter auf ihre Umwelt ein und finden leichter in ihre Stellung, wenn sie Umweltreizen mit Ruhe, Distanz und Erklärungen begegnen können.

… Erklärung, Sicherung, Führung

Vor allem das letzte Stichwort ist ein ganz wesentlicher Punkt. Die Menschenwelt ist voll von unverständlichen Dingen und Abläufen für einen Hund – man denke vergleichsweise nur an einen Menschen vom Land, der sich mit einem Mal in New York oder Tokio zurecht finden soll (ohne vorher je von diesen Städten gehört zu haben).

Ohne einen Führer, einen sicheren Bezugspunkt, der all die neuen Dinge erklärt, ist das kaum zu bewerkstelligen. Mit der Zeit mag man sich daran gewöhnen, erkennen, dass nichts davon gefährlich sein muss, aber wirklich verstanden hat man wohl nur weniges.

Natürlich hinkt der Vergleich, er soll aber im Ansatz verdeutlichen, welche Aspekte für einen Hund in der Menschenwelt essentiell sind, um welche sich der Mensch also unablässig bemühen, um welche er sich ständig kümmern muss.

Erklärungen sind – insbesondere für die beiden Leithunde – in jeder Lage wichtig. Mit ein wenig Gespür erkennt man, wann ein Hund eine Erklärung benötigt, wann Dinge für ihn noch nicht abgearbeitet sind: Oft fixiert er die Dinge, ist dabei aber unruhig, wendet sich im Extremfall auch unsicher ab, trotzdem er vom Reiz gefangen bleibt. Mitunter wendet er seinen Blick auch fragend zum Menschen als Aufforderung zur Erklärung.
Lässt er sich später von den gleichen Reizen nicht mehr aus der Ruhe bringen, ignoriert er sie sogar, sind sie für ihn abgearbeitet und ohne weiteres Interesse.

Neben den Erklärungen ist aber auch eine sichere Führung durch die Menschenwelt notwendig, denn nur so entsteht Vertrauen und letztlich verlässliche Gemeinschaft. Der Mensch muss dabei sowohl für die Sicherung als auch für die Führung sorgen – und zwar immer und überall.
Sicherung bedeutet, dass niemand ungefragt in die Tabuzone des Hundes eindringt, er also in keiner Weise belästigt wird.

Viele der Verhaltensauffälligkeiten – gerade bei Leithunden – resultieren aus dieser fehlenden Sicherung, denn sobald der Hund verinnerlicht hat, dass er von seinem Menschen diesbezüglich keine Hilfe erwarten kann, wird er das Heft des Handelns selbst übernehmen ... mit allen ungewollten Konsequenzen.
Am leichtesten lässt sich diese Sicherung durch die Einhaltung der Abstände zum Reiz oder durch ein Ausweichen erreichen. In der Stadt ist dies nicht immer möglich, da sollte der Mensch sich dann passiv schützend zwischen Reiz und Hund positionieren. Auf diese Weise entsteht für den Hund keine Notwendigkeit, sich selbst um seine Sicherheit zu kümmern, d.h. selbst zu handeln.

Neben dieser Sicherung ist immer auch eine klare Führung notwendig. Der Mensch muss immer und überall der Bezugspunkt sein, an dem sich sein Hund orientieren, an den er sich wenden kann. Er muss sicher, eindeutig und klar die Vorgaben für die Gemeinschaft vermitteln und schon durch seine eigene Haltung signalisieren, dass alles „in Ordnung“ ist und kein Anlass für Aufregung oder sogar für eigenes (gegebenenfalls unerwünschtes) Handeln besteht.

In den nachfolgenden Kapiteln werden diese Aspekte noch einmal ausführlicher behandelt.