Hallo liebe Leute,
ich nehme es als Zeichen, daß für Anfang Mai ein WS ganz in meiner Nähe (Bitterfeld/Wolfen) angesetzt wurde und habe uns kurz entschlossen angemeldet. Deshalb stelle ich uns hier vor und werde ein Vor-WS-Tagebuch eröffnen. Meine Hündin Yella ist 3,5 Jahre alt und lebt seit 3 Jahren bei mir. Ich habe sie im Alter von 6 Monaten als 5. oder gar 6. Besitzerin von einer Tierschutzorganisation übernommen. Man weiß von ihr nur, daß sie aus Berlin kommt. Es hieß, sie sei sehr temperamentvoll und haben ein Problem mit Frauen. Sagen wir so: das Problem mit Frauen dürfte zu den wenigen gehören, die Yella nicht hat. Das Geschlecht von Menschen ist ihr total egal. Nicht egal sind Wild, Katzen, Autos, Menschen allgemein, Kinder, Kinderwagen, Fahrräder, Trecker, Igel, Frösche, Hummeln, Autohupen, Stimmen und und und
Sie ist eine hervorragende Flächensucherin sowohl bezogen auf Spuren als auch auf Futter, Verlorenes usw.
Ich habe mir vor 5 Jahren ein Haus auf dem Land gekauft, u.a., weil ich unbedingt einen Hund haben wollte. Lange schon trage ich in mir ein Bild: morgens auf taunassen, weiten Wiesen gehen, bei und mit mir ein Hund. OHNE LEINE. Die Wiesen sind vor meiner Haustür, Tau gibt es auch, dazu sogar die Elbe, weiten Himmel, Stille. Es ist ein Paradies und es könnte so schön sein. Nur das mit der Leine, das will und will nicht klappen. Statt dessen laufe ich nun jeden Tag mit einer 20 m langen Wäscheleine um meinen Leib gebunden durch die Gegend. 2,5 Jahre davon wurde ich gezogen von einer Hündin, die die Nase ununterbrochen auf dem Boden hatte. Deshalb habe ich die Entschleunigung selbst erfunden und erlebe gerade das Gegenteil von dem, was viele von euch beschreiben: ich bin fast 3 Jahre nie weiter als 500 m in 1,5 Stunden gekommen, weil ich einfach stehengeblieben bin. Wenn es das Wetter zuließ, hab ich mich auf den Damm gesetzt, wir haben gemeinsam in die Welt geschaut. Ich dachte, irgendwann würde Yella verinnerlichen, daß hier wirklich restlos nichts los ist und sie getrost runterfahren kann. Statt dessen jubilierte sie, wenn alle paar Tage am Horizont ein Reh/Auto auftauchte „Siehst du, hier ist es kreuzgefährlich! Man kann gar nicht genug aufpassen!“. Und selbstverständlich war sie immer sofort in den Startlöchern, die „Angreifer“ zu vertreiben.
Hier Yella mit Weitblick, wie sie es liebt:
wachsam schon bei Sonnenaufgang:
Wir wohnen am Beginn eines 100-Seelen-Dorfes, das eine Sackgasse ist. Hier gibt es keinen Durchgangsverkehr, nach menschlichen Maßstäben ist hier nichts, aber wirklich gar nichts los. Als ich Yella nach Hause holte pinkelte sie im Flur auf den Flickenteppich, rannte ins Wohnzimmer, stellte sich ans Fenster und bellte. Kurz darauf versuchte sie, aufs Fensterbrett zu springen, bellend natürlich. Das sollte der Wegweiser für lange Zeit bleiben. Die erste Zeit schlief sie tagsüber gar nicht, sie bellte und war nicht zu beruhigen. Über Stunden. Ich bin selbständig und arbeite zu Hause, wir waren und sind 24/7 zusammen.
Mir war schnell klar, daß (wie in der Menschenwelt) eine schlechte Kindheit nicht lebenslang als Entschuldigung für schlechtes/falsches Benehmen herhalten kann. Mir war aber auch klar, daß eine normale Hundeschule keine Option ist. Andere Menschen UND Hunde, dazu die Gerüche, die Fahrt dorthin: es wäre unmöglich gewesen. Außerdem fürchtete ich die gängigen Erziehungsmethoden. In der Folge gestaltete ich unser Leben so reizarm wie möglich. Ich ging Begegnungen aller Art aus dem Weg, keine anderen Hunde, Radfahrer, keine Supermarktparkplätze, kein (klein)städtischer Trubel, keine vielbefahrenen Straßen, keine größeren Autofahrten. Ausnahmen: Weihnachten bei meinen Eltern in der Großstadt, Tierarztbesuche und natürlich Freunde und Handwerker in meinem Haus.
Bevor Yella in mein Leben kam, war ich überzeugt davon, daß ich gut mit Hunden mental kommunizieren kann. Und ich wollte genau das und nichts anderes. Gelandet bin ich blitzartig bei Kommandos aller Art, die sie zu Hause wie eine Streberin mit Feuereifer befolgte. Draußen sagte ihr Blick deutlich „Was willst du von mir? Warte damit, bis wir wieder zu Hause sind“. Ich war totunglücklich, an manchen Tagen stand ich heulend auf der Wiese – ignoriert von einem Hund, den ich so sehr ersehnt hatte. Ich wollte nicht die blöde Kommando-Tante sein und war es doch. Ich brüllte, ich separierte sie zeitweilig innerhalb des Hauses, um das Bellen nicht ertragen zu müssen aber vor allem spürte ich, daß es zwischen uns keinerlei Bindung gibt.
Ich wurde auf Maja Nowak aufmerksam, las ihre Bücher wieder und wieder. Wachgerüttelt hat mich ein Satz von Maja, sinngemäß: „Wenn du eine Erziehungsmethode über längere Zeit anwendest und sich nichts verändert, kannst du getrost davon ausgehen, daß es die falsche Erziehungsmethode ist“. Ich schämte mich in Grund und Boden, weil ich nicht selbst darauf gekommen war – überhaupt: ich schäme mich wahnsinnig, daß ich jahrelang zu unser beider Schaden so dumm war, so denkbar weit weg von meinem Bauchgefühl, meinem inneren Wissen, meiner inneren Stärke und Präsenz. (Ähnlich wachrüttelnd ist übrigens die Erkenntnis aus Barbaras Buch, daß es im Rudel immer um Harmonie geht. Hätte ich auch selbst drauf kommen können, bin ich aber nicht. Es ist so einfach, es macht so viel ganz klar und es macht das arbeiten im Team so einfach – einfacher geht es gar nicht.)
Yella hechelt stark während längerer Autofahrten. Möglicherweise übersteht sie das unbeschadet, ich aber ertrage es nicht. Eine Fahrt zu Maja war also ausgeschlossen, ebenso zu anderen Schulen. Einer Eingebung folgend entschloß ich mich letzten Herbst, eine Hundetrainerin in der Nähe aufzusuchen, Einzelstunden. Sie nahm Yella an der Leine, wir gingen zunächst auf einem Weg, dann zu einer Tankstelle, auf der Tankstelle, vorbei an Menschen, an eine Bundesstraße, über die Bundesstraße… Yella blieb an der Seite der Trainerin und schaute sie an. Und ich konnte mir natürlich anhören „Ich weiß gar nicht, was Sie haben, das ist ein wunderbar leichtführiger Hund, mit dem können Sie alles machen!“. Ab der 2. Stunde zeigte sich Yella dann mehr und mehr. Aber die Trainerin hatte die passende Präsenz und Ausstrahlung, Yella konnte sich ihr anschließen und vertrauen. Für mich war das ein weiterer Meilenstein. Ich hab die Ruhe und Stärke der Trainerin gesehen und quasi das Spiegelbild davon bei meinem Hund. Ende des Jahres kam die Trainerin zu uns, wir gingen über die Wiesen. Die Diagnose und Hausaufgabe hieß „Bindung aufbauen, Kontakt herstellen draußen“. Wir haben damit sehr gute Fortschritte gemacht. Ich bin überzeugt davon, daß es Yella geholfen hat, an der Seite dieser Trainerin zu sein und zu erleben, daß wirklich nichts passiert. Sie standen zusammen an einer mit Kindern bevölkerten Bushaltestelle, Yella lag (!) in einem Schulflur, während die Putzfrau um sie herum kehrte und die Kinder durch die Flure liefen. Sie war völlig ruhig und unbeteiligt. Daß sie diese Erfahrung machen konnte, hat uns beide sehr weitergebracht.
Sollte doch mal etwas unklar sein (kommt quasi nie vor), klemmt sie die Oberlippe ein:
3. Meilenstein: in Majas Film wird eine Kundschafterin /V2 erstmals stellungsgemäß gesehen, behandelt und beschäftigt – ich war tief berührt, hab sofort hierher gefunden, gelesen und gelesen und gelesen und hilfsweise einfach beschlossen, daß Yella eine V2 ist (nicht als laienhafter Tipp sondern um zu verstehen, daß mein Hund eine bestimmte Aufgabe hat und dieser nachgeht). In dieser Nacht stellte sich hier alles vom Kopf auf die Füße. Ich hab endlich sehen können, wie verzweifelt sie versucht, ihren Job zu machen oder das, was sie dafür hält. Alles ALLES ist mir plötzlich klar geworden. Seit dem ist nun alles anders. Im Gegensatz zu euch kann ich nach 3 Jahren zum 1. Mal in normalem Tempo gehen, wir erlaufen uns die Umgebung – in Ruhe, gemeinsam. Viele von euch beschreiben, daß der Hund plötzlich Vögel am Himmel beobachtet – so auch hier. Yella hat den Kopf oben. Sie sieht Rehe und entscheidet sich, einfach weiterzugehen. Ich kann Menschen treffen und mit ihnen sprechen, inzwischen haben uns sogar schon Radfahrer passiert, ohne daß Yella losgestürmt ist. Und das beste: so wie ein Lahmer nach Wunderheilung die Krücken wegwirft, hab ich nun schon ein paar mal die Leine von mir abgemacht und Yella war unangebunden auf den Wiesen unterwegs. Ja: sie schaut nun nach mir, möchte bei mir sein, fühlt sich zugehörig. Ihre gesamte Körperspannung und –haltung hat sich stark verändert, sie ist in allem viel weniger starr. Zum 1. Mal schnappt sie sich Stöcke und spielt, ist ausgelassen. Man meint, sie lachen zu hören. Ich hab schon immer viel beschrieben und erklärt, aber sie konnte mit ihrer Aufmerksamkeit nicht bei mir sein. Jetzt starten wir damit noch mal neu, gleichzeitig fixiere ich und arbeite mental – mit recht gutem Erfolg. Sie staunt, was ich alles kann und mir geht es nicht anders. Jetzt sind wir endlich ein Team – auf den Wiesen, fern aller Reize. Am Ziel sind wir noch lange nicht aber zum 1. Mal in der langen Zeit habe ich ein inneres Gefühl, wie es sich anfühlen wird. Ich kehre zu meinem Traumbild „Mit Hund im Tau auf Wiese ohne Leine“ zurück und weiß, daß wir das schaffen werden.
Vielleicht lernt sie dann auch schwimmen, bisher steht sie nur im Wasser:
Unsere heutige Hunderunde im Wald wurde von einem Jäger durchkreuzt: „Nehmen Sie Ihren Hund an die Leine“ brüllte er und fuhr mit dem Rad auf uns zu. Es folgte eine üble Beschimpfung u.a. mit „Ich hab Ihren Hund hier im Wald schon öfter ohne Leine gesehen“. Da kann ich nur sagen „Schön wär’s!“. Er wird vorläufig niemanden finden, der das bezeugt, so viel ist sicher.
Das ist eine lange Geschichte, sorry. Aber ich schwöre: das ist schon die Kurzfassung.