Ein schönes Tagebuch und danke, dass du deine Gedanken für die Entscheidung der Absage des WS hier geschrieben hast. Keine Ahnung, ob du noch hier liest . . .
Ich kann dich teilweise verstehen.
Auch ich habe im letzten Januar meinen ersten Hund in mein Leben gelassen.
Eine neunmonatige jagdlich sehr ambitionierte Hündin . . .
Viele der Probleme - fehlende Abrufbarkeit, Leinenaggression, Hysterisches Bellen, Mobbing von anderen Hunden - habe ich darauf geschoben, dass ich sie ja nicht schon als Welpin hatte, dass sie in der Pubertät ist oder dass ich nicht genug Erfahrung habe.
Unzählige Hundeschulen, Trainingsvarianten, Bücher, Ratgebersendungen, DVD, Internetrecherchen, Einzeltrainer, Hundesitter, Utensilien später landete ich hier und ging erstmal wieder.
Mir war der WS zu teuer, aber vor allem örtlich zu weit weg und irgendwie war hier alles anders . . .
Dann lief meine Hündin - nicht jagdlich bedingt - weg, ließ sich nicht wieder von mir einfangen.
Da wurde mir bewusst, dass ich nie den Zugang zu meiner Hündin über Leckerlie oder Spielzeug kriegen werde. Wie sollte das auch interessanter sein als ein Reh, Hase oder die Freiheit?
Nun war die Zeit reif, ich bereit für einen neuen Weg und die Aussicht auf einen WS im Norden . . . Zur Vorbereitung las ich noch sehr intensiv im Internet, stolperte über Berichte und Meinungen, die mich sehr verunsicherten. Aber . . . ich hatte soviel ausprobiert und in bisher erfolglosen Beratungen investiert, da kam es mir auf einen weiteren möglichen Fehlversuch nicht an. Auch bin ich ein Mensch, der gern seine eigenen Fehler macht und Warnungen und Ratschläge nicht so ungeprüft für sich übernimmt.
Wir starteten neu. Ich ließ mich darauf ein, musste an mir arbeiten, geduldiger sein, ruhiger und präsenter werden ohne Hilfsmittel, mich meiner Hündin nähern, Regeln aufstellen, nicht den Hund beherrschen wollen, loslassen können und gegenseitiges Vertrauen aufbauen, mir und dem Hund Raum geben, nicht 100% funktionieren zu müssen, klarer sein in meinem Handeln, neue Wege gehen, anders sein, mich abgrenzen, zur Ruhe kommen, den Hund Hund und nicht nur Teil meiner Freizeit sein lassen und vor allem nicht nur Trainingstips abspulen und alles perfekt machen wollen. Das war und ist nicht einfach.
Und ich bin noch lange nicht am Ziel.
Mein Blick für meine Hündin veränderte sich. Ich nahm ihre frühere Hyperaktivität als Stress und ihre damalige Ruhe nach Hetzen im Wald als Erschöpfung wahr und erkannte die Ursachen. Meine Beschäftigungen mit ihr lenkten sie zwar vom Jagen ab, aber machten sie nicht gelassener und entspannter. Das Laufen mit anderen Hunden machte ich eigentlich nicht ihr zuliebe, sondern irgendwie zu meiner Beruhigung, da Hund doch möglichst viele Sozialkontakte braucht. Wenn sie die Wahl hatte, lief sie allein weit aus der Gruppe, rannte gehetzt von dem anderen - bekannten - Hund weg, zog den Schwanz ein oder schnappte. Wir machten mit Entschleunigung auf unseren einsamen Spaziergängen weniger, aber waren mehr miteinander verbunden.
Sie reagierte auf mich, lief nicht weg (zur Sicherheit brauche ich für meine Ruhe noch die Schlepp), blieb in meiner Nähe bzw auf mein Bitten (!) kam sie wieder dichter, nahm meine Angebote für Aktivitäten an.
Das, was ich mit monatelanger grosser Anstrengung, Krafteinsatz, Ehrgeiz und Energie nicht erreicht hatte, entwickelte sich etwa innerhalb der halben Zeit mit so viel weniger und hat Bestand.
Grundlegend anders in meinen Augen versuche ich mal am Beispiel vom Bellen zu beschreiben.
Meine Hündin durfte als Beschäftigung allein auf dem Balkon oder drinnen vor der Balkontür liegen. Sie kläffte, sowie sich auf der Straße etwas ereignete, wenn ein - auch bekannter - Hund vorbeiging, sträubte sich ihr Nackenfell und ihr Bellen wurde hysterisch und sie nicht mehr ansprechbar. Nun versuchte ich viele verschiedene Erziehungsmethoden: Leckerlie, Futterbeutel, Suchspiele, Kauteile zum Ablenken, Leckerlie zur Bestätigung, wenn sie ruhig war, es wurde mit Bekannten geübt, schimpfen, AUS, in die Wohnung rufen und fürs Kommen mit Futter oder Spielen belohnen, die Blumenspritze, lautes Klatschen, körperlich vom Balkon drängen, an der Leine haltend und dann wegführen oder den Reiz durch Stubsen ohne Bellen aushalten lernen
Ergebnis: Sie durfte nicht mehr auf den Balkon und ans Fenster kam eine Jalousie.
Mit RS - was ja keine Erziehungsmethode ist - schaute ich mir die Situationen in Ruhe mit ihr an, setzte mich zu ihr, hielt sie bei einem Reiz an der Brust und erklärte ihr, was da unten los war, warum die da laufen, das die es dürfen, wir hier oben sicher sind, sie entspannt in der Sonne liegen kann, nicht aufpassen muss, weil die von unten nicht hochkommen, ihr die Straße nicht gehört, dass Bellen die Nachbarn stört, das es andere Wege (Knurren, Weggehen) gibt, die Situation zu verarbeiten . . . wenn es die erste Zeit noch zum Bellen kam, ging ich zu ihr, erklärte und bewertete erneut, holte ich sie auch mal vom Balkon und erläuterte, dass es sich nicht höflich ist, andere Menschen und Hunde von oben anzubellen und damit zu erschrecken und sie deswegen jetzt nicht mehr auf den Balkon dürfte.
Das Bellen vom Balkon passiert nicht mehr bei Alltagsroutinen, höchstens ein Knurren, was sie aber nicht auf dem Balkon macht, sondern mir gegenüber in der Wohnung äußert - es sei denn eine bestimmte Hündin ist direkt vor unserer Tür.

Für mich erklärt es sich so, dass sie meine Erklärungen verstanden hat, sie blendet die Reize nicht aus oder hält sie unter Stress oder mit Druck aus, sondern kann sie einordnen. Sie hat gelernt, welches Verhalten für sie sinnvoll und aus Menschensicht wünschenswert ist, ohne es mit einem Ersatzverhalten zu kompensieren. Das ging nicht von jetzt auf gleich und brauchte auch Zeit, aber es war soviel mehr ein Miteinander als das Training davor, auch wenn ich mal geschimpft habe.
Das ist für mich so faszinierend gewesen, dass ich dran bleibe, egal ob es das direkte Umfeld versteht oder nachvollziehen kann.
Was mir heute noch Gänsehaut verschafft . . .
Sie läuft schnüffelnd an der Schlepp vor mir her, ich schaue zur Seite, sehe einen schräg liegenden Baum und denke, der wäre toll zum Klettern - sie sprintet zu dem Baum und erklimmt ihn.
Für mich war es ein Zeichen, dass sie endlich bei mir angekommen ist.
Dafür hat sich der Verzicht auf die bisherige "Normalität" gelohnt. Es ist kein leichter Weg, weil er anders ist und viele Ansprüche unserer heutigen schnelllebigen Zeit nicht erfüllt.
Aber es tut gut - Mensch und Hund.